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Frühjahr 2014
"Hölzer – so lapidar benennt Edda Gerusel ihre Ausstellung. Der Titel ist programmatisch gemeint, denn mit ihm verweist Edda Gerusel auf ihr zentrales Thema, das Material Holz. Ihre Arbeiten sind im wahren Sinne konkret, sie zeigen keine wie immer gearteten abbildenden Figurationen. Das Material ist also von ihrem Konzept her ihr Thema. In Anlehnung an Louis Sullivans Forderung für die Architektur "form follows function" ließe sich für ihre Arbeiten sagen, die Form folgt dem Medium, dem Material.

Der Plural "Hölzer" verweist auf das Interesse der Künstlerin an unterschiedlichen Wachstumsformen und Holzarten, deren Schönheiten sie für ihre Arbeit anregen. Holz in seinen verschiedenen Entstehungs- und Wachstumserscheinungen legt der Bildhauerin Widerstände entgegen. Widerstände, die gegeben sind durch die Äste, Maserungen, Stammumfänge und Wachstumslängen der ausgewählten Baumreste. Diese Widerstände und Einengungen des verwendeten Holzes generieren die Formen ihrer Skulpturen. So nimmt es nicht Wunder, dass die Formensprache von Edda Gerusel sich dem quellenden, vegetativen Leben verpflichtet. Sie folgt in ihrer plastischen Gestaltung dem Wachstum des ehemaligen Baumes und legt somit die Vitalkräfte des ehemals lebenden Baumes offen. Sie arbeitet nicht bewusst gegen das Wachstum und die Lebensentwicklung des organisch Gewesenen. Sie verpflichtet sich mit dieser Arbeitsweise einer ausgewiesenen Materialgerechtigkeit wie es Barbara Hepworth mit den Worten formuliert: "Struktur und Qualität des Steines oder Holzes, die bearbeitet werden, müssen in der Bildhauerkunst vollkommen zur Geltung kommen. Ich meine aber nicht, dass dies allein schon einer Skulptur Leben und Vitalität verleiht. Ich glaube, dass das Verständnis für das Material und die Bedeutung der herausgearbeiteten Form in vollkommenem Gleichgewicht sein müssen."

Edda Gerusel stellt in ihrer Ausstellung vier Werkgruppen vor, nämlich "Pappelhölzer, "Hölzer", „Würfelkreuze“ und die Werkgruppe "Brut". Die Werkgruppe "Pappelhölzer" umfasst vier Großskulpturen mit den augenfälligen Titeln "Liegende" [4,50 m lang] und "Stehende" [2,70 m hoch] und „Kreuz“. Die weibliche Form der Titelwahl mag auf dem ersten Blick der fließenden und schwingenden Formensprache geschuldet sein. Zu der Entstehung der vier Skulpturen berichtet Edda Gerusel auf ihrer Web-Site: "Die Pappel wuchs im Oberhausener Kaisergarten, dort habe ich sie entdeckt. Ein Jahre später fuhr der Blitz in sie ein, sie wurde notgefällt. Ich fand sie zu einem Holzhaufen gestapelt am Rand der Wiese liegen. Leider hatte ich in dem Jahr keine Möglichkeit sie zu bearbeiten. Als ich die Möglichkeit hatte, transportierte ich sie in mein Atelier nach Witten, bearbeitet sie, transportierte sie zurück in den Kaisergarten und zeigte sie vom 13. November 2009 bis zum 10. Januar 2010 in der Panoramagalerie der Ludwig Galerie – Schloss Oberhausen." In dieser Aussage offenbart Edda Gerusel, dass ihr ihr Bildhauermaterial nicht beliebig ist, sondern, dass sich in ihrer bildhauerischen Formulierung auch die Geschichte des ehemaligen Baumes widerspiegelt. Aufrecht wuchs sie, ihre Vitalkräfte aus dem Erdreich ziehend, ihre Lebenskräfte aus der Sonne ziehend, die Pappel. Bis die Pappel ein Blitz traf und sie gefällt werden musste. Beide Zustände sind in der Position der Stehenden und der Liegenden ausformuliert. Weich schwingend entfaltet sich die Stehende in die Höhe, während sich die Liegenden expressiv auf dem Boden winden, gehalten von stählernden Zwingen. Die beiden liegenden „Pappelhölzer“ in Raum 1 sind im Dialog aufgestellt und ergeben aus ihren Beziehungen überraschende Leerräume, wenn man das Paar umrundet. Auffallend ist auch die Betonung der Körperoberfläche durch die Betonung der Flächen im Kontrast zur vergleichsweise geringen Körpermasse, dadurch wird die Zartheit und Leichtigkeit der Arbeiten herausgestellt. Skulpturen stehen in dem Spannungsverhältnis von Körpermasse und Körperoberfläche. Kurt Badt unterschied bei Skulpturen zwischen diesen beiden Polen und erkannte in der Körperoberfläche das entscheidende gestalterische Prinzip, indem er formulierte: "Körper werden plastisch mittels Oberflächen organisiert, ist ja bei einer Skulptur auch jeder Abstand Oberfläche und keine Erstreckung auf ihr linear. Dies letztere, Selbstverständliche, ist deshalb wichtig, weil es als plastische Aufgabe ausdrücklich immer wieder auftritt; jede Erstreckung, Richtungs-Führung muss hier durch Entfaltung der Oberfläche als vertretbare, ausdrucksvolle, bestimmte Fläche geleistet werden." Der Oberfläche widmet Edda Gerusel besondere Aufmerksamkeit. Ihre Intention ist nicht das kunsthandwerkliche Herausarbeiten der Holzmaserung, sondern das Bearbeiten der Oberfläche als sinnhafter Abschluss der Form. So sind die Oberflächen Zeichenträger der Bearbeitung, sei es durch die Kettensäge geschlichtet, mit der Flex eingeebnet oder mit der Raspel geglättet und abschließend geschliffen.

Die zweite Werkgruppe in Raum 2 und 5 trägt den konzeptionellen Titel "Hölzer". In vielfältigen Variationen wird das nach oben Strebende bei den kleinen „Hölzern“ in Raum 2 thematisiert. Auch hier überlässt sich Edda Gerusel der zuvor beschriebenen Formensprache. Auch hier sind die Skulpturen bestimmt durch ihr ausgewogenes Verhältnis von Körpermasse und flächiger Körperoberfläche. An Keimlinge, wie in Slow-Motion festgehalten, erinnern diese schwungvollen Skulpturen, sie stehen für unbändige Vitalität. Sind die kleinen „Hölzer“ noch mit einem elliptischen Querschnitt gestaltet, so sind die mittelgroßen „Hölzer“ in Raum 5 ausschließlich brettförmig. Edda Gerusel setzt dem normalen Verwertungsanspruch von Holz, als gerade, flächige Massenware, die freie künstlerische schwingende Form eines Brettes, oder besser gesagt, einer Bohle gegenüber, die sie als aufrechte oder liegende Skulptur präsentiert. Edda Gerusel sagt selbst über ihre Werkgruppe "Hölzer": "Stämme und Äste von Bäumen, in der leiblichen, organischen Form des Baumes belassen und doch zum Brett geworden. Dynamisch gebogen, bewegt, geschwungen, beleben Sie ihren Umraum. Das Hölzerne, Spröde der Materie wandelt sich in souveräne Dynamik. Der Schwere enthoben geben sie elegant-flexibler Leichtigkeit Form. Sie verkörpern ruhige Dynamik."

Mit der dritten Werkgruppe „Würfelkreuze“ in Raum 4 setzt sie sich mit dem bildhauerischen Problem der Körpermasse, dem Volumen auseinander. Von den Grundformen Würfel und Kugel ausgehend thematisiert Edda Gerusel das Kreuz, als gedachtes kartesisches Koordinatensystem. Durch das systematische Wegnehmen von Würfelvolumen entstehen konstruktiv wirkende Skulpturen von großer Klarheit und Statik. Bei ihren Kugelformen allerdings entsteht ein formaler Kontrast zwischen der Grundform und der herausgearbeiteten Kreuzform. Diese Skulpturen besitzen keine ausgewiesene Standfläche, sondern sind eher dem dynamischen Prinzip verpflichtet.

Eine Dynamik der besonderen Art manifestiert sich in der vierten Werkgruppe "Brut" in Raum 6. Schon der Titel ist irritierend, erinnert er doch einerseits an die Kunstrichtung "art brut" und andererseits an die Sektspezifizierung "brut". Doch weiter kommt man, wenn man sich auf die Übersetzung aus dem Französischen direkt bezieht, nämlich "brut" bedeutet roh, wild. So ist auch die Anmutungsqualität der vorgestellten Objekte, sie wirken roh und wild. Roh wirken sie wegen ihrer Oberflächenbeschaffenheit und wild wegen ihrer formalen, bewegten Ausdrucksqualität. Das Gerüst dieser Arbeiten bilden wie Edda Gerusel sagt: "spärlich bearbeitete Äste und Stämme als Konstruktionsskelett, als Formgerüst, das ich dann mit Holzlatten aller Art flächig benagele." Auch bei diesen Arbeiten liegt die Intention auf der Körperoberfläche, dem sinngebenden Abschluss der Körpermasse. Diese Körperoberfläche, gebildet aus einer Vielzahl gebrauchter Holzlatten, die sie auf dem Sperrmüll fand, erzählt Geschichten. Geschichten über den Verwertungsanspruch von Holz, von den Spuren des Gebrauchs und den Verwitterungen, denen die Holzlatten ausgesetzt waren. Auch bei diesen Arbeiten nimmt Edda Gerusel Bezug auf Geschichtliches, auf Vergangenes. Bei diesen Objekten bearbeitet Edda Gerusel noch ein weiteres bildhauerisches Thema, nämlich positives und negatives Volumen. Mit anderen Worten, Sie umspannt mit der Oberfläche Ihrer Objekte einen Innenraum, weil die Objekte nicht abgeschlossen, sondern an einer Seite offen gestaltet sind. Mit diesen Objekten formuliert Edda Gerusel das allgemeine architektonische Problem von Innen und Außen. Sie formt also Gehäuse für unsere Phantasie.

Edda Gerusels Arbeiten nehmen wir neben unserem Sehsinn, unserer Erinnerung an die verschiedenen Ausdrucksqualitäten von Holz vornehmlich mit unseren "nächtlichen" Sinnen auf, dem Tast-, Lebens-, Bewegungs- und Gleichgewichtssinn. Umschreiten und berühren Sie die Arbeiten von Edda Gerusel, dies ist von ihr ausdrücklich gewünscht. Ich wünsche ihnen vielfältige Erfahrungen mit diesen Holzarbeiten."

Werner Hielscher

im April 2014